Karin Charlotte Melde – 11. Mai 2021

Texthaus trifft Nürnberg mit Karin Charlotte Melde am 11. Mai 2021

Gleißhammer

Karin Charlotte Melde darf ich in der Marthastraße am Gleißhammer abholen, wo sie schon seit einigen Jahren in einem generationenübergreifenden Wohnprojekt lebt. Ich bin mal wieder ein wenig zu früh dran, habe mein Strickzeug dabei und setze mich vor dem derzeit geschlossenen MarthaCafé auf eine Bank. Links von mir steht das gut sortierte Bücherregal, vor mir blicke ich auf den ruhigen Bürgersteig, dahinter auf die nicht so ruhige Straße. Ich sitze, stricke und wundere mich ein wenig über die eigentümliche Mischung einer eigentlich ruhigen Straße, in der wenig Menschen unterwegs sind, die es aber schon dank des Autoverkehrs auf ein gewisses Lärmniveau bringt.

Karin Charlotte Melde

Besondere Einblicke

Nach wenigen Strickrunden an der aktuellen Socke kommt Karin Charlotte lächelnd auf mich zu. Sie hat noch schnell den Müll heruntergebracht und verrät mir, dass ich sehen darf, was nicht allen Augen offensteht: Den Garten des Wohnprojekts! Wir gehen durch den schlichten und sehr aufgeräumten Eingangsbereich. Aushänge aller Art zeigen den Besucherinnen und Besuchern, dass die Hausgemeinschaft sich austauscht. Und Karin Charlotte berichtet von Abstimmungen, gemeinsamen Projekten und vielfältigem Austausch, sei es von Dingen des alltäglichen Gebrauchs oder von Meinungen. Es ist schön, von diesem Miteinander zu erfahren, auch wenn das demokratische Glück vermutlich nicht vom Himmel fällt, sondern wohl von allen Bewohnerinnen und Bewohnern Engagement verlangt.

Ab in den Garten!

Wir aber gehen nur hinein, um das Haus gleich wieder zu verlassen. Schon stehen wir in einem ganz wunderbaren Idyll, um das dieses Wohnprojekt sicher von vielen beneidet wird. Von mir auf alle Fälle! Ich sehe einen von der Straße abgeschirmten Spielplatz, viele Hochbeete, Gemüsebeete, Rabatten und sogar einen Gingkobaum! Dann den Platz, auf dem tanzend der kreative Protest der französischen Kulturschaffenden unterstützt oder auch Jerusalema getanzt wird. Nicht weit davon den Bolzplatz der Kids, auf dem sich der Nachwuchs austobt, während Eltern, Nachbarinnen und Nachbarn an schönen Tagen gern auf ihren Balkonen sitzen oder im Garten arbeiten.

Lebensqualität versus Lärm?

Nun gut, wir verlassen diesen beschaulichen Platz, an dem die Lebensqualität vieler Menschen einen hohen Stellenwert hat, und gehen die Marthastraße in südliche Richtung. Hier erfahre ich von Karin Charlotte auch, dass mein anfänglicher Eindruck einen ernstzunehmenden Hintergrund hat: Die Anwohnerinnen und Anwohner leben hier tatsächlich mit dem Lärm, der von den unterschiedlichen Verkehrsmitteln – Auto, Bahn, Straßenbahn – in das ansonsten entspannt wirkende Viertel Gleißhammer getragen wird. Die eine stört er, den anderen nicht. Ein kleiner Schwenk nach rechts bringt uns an Bahngleisen entlang zu dem großen Bahnareal, in dem auch nachts ICE & Co. geputzt werden. Das klingt nach einer ruhigen Angelegenheit, verursacht wohl aber auch Lärm.

Maikäfer und Business-Tower

Hinter Bahngleisen und Karin Charlottes Zuhause grüßt mit dem Business Tower Nürnberg das zweithöchste Bauwerk der Stadt. Im Stadtteil Gleißhammer ist er immer wieder präsent. Doch halt! Gleißhammer? Wo stammt denn der Name eigentlich her? Karin Charlotte und ich haben grobe Vorstellungen und ich sofort den Auftrag, die Antwort auf diese Frage zu recherchieren. 1336 wird der Ort bereits erwähnt, hat also eine lange Historie. Und ja, hier gab es eine Mühle, deren Energie ein Hammerwerk antrieb. Da lagen wir also nicht falsch mit unseren Vermutungen. Neu ist mir, dass Gleißhammer samt Eisenhütte zu den ältesten Industrieanlagen der Stadt zählt und dass das Zeltnerschloss im 14. Jahrhundert auch als Hammerschloss bezeichnet wurde.

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Grüner Alltag

Weiter geht’s. Und zwar zum Baggerloch. Oho! Was da wohl auf mich zukommt? Karin Charlotte scheint diesen Platz zu mögen. Ich überlege, ob ich wohl besser nach meinen Gummistiefeln gesucht hätte. Egal, ich schau es mir an und bin dann doch erleichtert, denn – uffff – das Baggerloch ist ein Biergarten! Sehr hübsch inmitten von Schrebergärten gelegen, mit vielen blühenden Pflanzen liebevoll dekoriert und – bei Sonnenschein – von einem herrlichen Walnussbaum beschattet. Der hat sich Karin Charlotte dann auch schon aktiv vorgestellt, denn ab und an wirft er den Gästen schon mal eine Walnuss ins Glas. Und überhaupt zeigt sich das Baggerloch sehr kommunikativ. Auf dem Boden vor dem Gartentürchen finden wir doch prompt ein paar Buchstaben. Was für eine Begrüßung für zwei Frauen des Wortes!

Rote Rinde, buntes Türchen, sturer Maikäfer

Wer weiß, vielleicht schaffe ich es im Sommer ja mal hierher? Fürs erste jedoch ziehen wir weiter in Richtung Zeltnerschloss und entdecken am Wegesrand einen Baum mit rostroter Rinde. Mit Buchstaben bin ich besser unterwegs als mit Biologie, daher habe ich erst einmal recherchieren müssen, wo die Ursache für die Färbung liegen könnte. Ich könnte mir vorstellen, dass Grünalgen die Rinde rostig färben. Dazu gibt es hier mehr Infos. Falls es jemand genauer oder besser weiß, freu ich mich über eine Nachricht! Auf der anderen Seite des Weges zieht ein pittoresk mit Graffiti belebtes Gartentor meinen Blick auf sich. Doch dann geht es einfach nicht weiter. Ein imposantes Tiefbaustellengerät versperrt den Weg. Wir machen kehrt und entdecken auf dem Asphalt einen richtig großen Maikäfer. Der erinnert uns beide sofort an wen? Genau, an Wilhelm Busch!

Ums Eck …

Wir biegen rechts ab und nun verliere ich den Überblick über unseren Weg. Doch es gibt am Wegesrand Spannendes zu entdecken und mir reicht es völlig, wenn Karin Charlotte den Überblick behält. Nachdem wir an einer etwas herausfordernd gestalteten Wand vorbeigekommen sind und herausgefunden haben, dass in dem hübschen orangefarbenen Haus die „Bahn-Landwirtschaft Bezirk Nürnberg e.V.“ residiert, werfen wir einen Blick über den Gartenzaun eines Imkers. Der bittet seine Kunden im Interesse der Nachhaltigkeit darum, leere Honiggläser zurückzugeben. Hinter dem Zaun steht dafür eigens ein Gestell. Wenige Meter weiter kann man den Bienen zuschauen. Ein wunderbar unperfektes und sehr anheimelndes Idyll!

Die Liebe zum Buch … und zum Regal

Vorbei an Schrebergärten unterschiedlichster Charaktere mit vielen blühenden Bäumen und frischem Frühlingsgrün, am netten Goldbach Stüberl und einem Abenteuerspielplatz, der seinen Vorläufern aus den 70er-Jahren nacheifert, einem Gedenkort für ein Unfallopfer und an Steinen mit Kreuzen, deren Botschaft ich nicht zu definieren wage, geht es wieder in die Marthastraße. Vor dem Bücherregal darf ich noch ein Foto von meiner heutigen Begleiterin, von Karin Charlotte Melde machen. Typischerweise vor dem Bücherregal, das sie mit Herzblut betreut und das die lesefreudige Nachbarschaft mit Fantasiereisen, wahren Geschichten und jeder Menge Wissen versorgt. Hübsch ist die Geschichte eines Herrn in der Nachbarschaft, der gleich das ganze Regal mitnahm. Samt der ebenfalls fehlenden Bücher fand es die Polizei bei einem Bücherfreund, der sich in seiner Wohnung nun an einer kleinen Bibliothek erfreute. Das Mitleid mit dem Herrn war zwar groß, insbesondere, da sich die Anzeige nicht zurücknehmen ließ. Doch Regal und Bücher kamen wohlbehalten zurück an ihren angestammten Platz. Wo inzwischen die Regale, keineswegs aber die Bücher gegen Mitnahmeeffekte geschützt wurden.