Markus Fettke – 27. Januar 2022

Gartenstadt

Die erste Texthaus trifft Nürnberg-Runde des Jahres 2022 führt mich in die Gartenstadt. Markus Fettke von USP24 zeigt mir diesen besonderen Nürnberger Stadtteil, in dem er nicht nur lebt, sondern auch aufwuchs. Wir treffen uns beim Gesellschaftshaus Gartenstadt. Ich komme mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, sehe Markus schon am Treffpunkt warten und werde doch kurz abgelenkt. Denn mitten auf der Kreuzung prangt die Jakobsmuschel, der ich auch bald wieder folgen werde, und erinnert mich daran, dass ich am alten Kanal ganz in der Nähe meine erste Jakobsweg-Etappe begann. Doch jetzt schnell weiter, die Ampel ist grün, das Muschel-Foto ist gemacht und Markus wartet ja schon. Das Wetter ist hamburgisch nieselig. Tja, das ist manchmal auch in Franken zu haben. Und ehrlich: Ich habe keine einzige Wolke aus Hamburg mitgebracht.

Prüfung, Senioren, Sonnenschirme

Neugierig werfen wir einen Blick durch die Glastür des Gesellschaftshauses und gehen dann lieber leise weiter, denn in dem großen Saal, in dem sonst gefeiert wird, scheint eine Prüfung abgehalten zu werden. Also: pssssst! Wir gehen rechts weiter und kommen gleich an der Seniorenbegegnungsstätte Gartenstadt e.V. Da sieht es im Moment sehr ruhig aus. Wir biegen links ab und kommen an einer ziemlich großen Grünfläche vorbei, die aber nur für Veranstaltungen genutzt wird. Bewacht wird diese Fläche von etwa einem halben Dutzend Sonnenschirmen, die auf bessere Zeiten hoffen. Vorbei geht es an einem quaderförmigen Bau, der der Telekom gehört und für die Anbindung des Stadtteils ans Internet wohl eine bedeutende Rolle spielt.

Beschauliche Nachbarschaft

Nun sehe ich auch, was ich mir von der Gartenstadt vor allem versprochen habe: Gärten und Grün! Die traditionelle Bebauung verbreitet eine besondere Atmosphäre. Die Nachbarschaft wirkt überschaubar, bodenständig und ruhig. Die Häuser wirken gepflegt, sind oft Ton in Ton gestrichen. Die Gärten sind aufgeräumt und ich kann mir gut vorstellen, dass man hier den Sommer nach Herzenslust genießen kann. Am Wege entdecken wir an einem Gartenhäuschen ein Zertifikat, dass einem Herrn bestätigt, dass er Fachexperte für Toupets sei. Daneben hängt das Bild verschiedener Himmelskörper und möglicherweise auch der Milchstraße. Ein wenig später entdecken wir ein Schild „Vorsicht! Wachsamer Nachbar“ und schmunzeln über die auf nette Weise humorvolle Art, seine eigene Lebensweise auf die Schippe und sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen.

Kindheit in der Gartenstadt

Markus erzählt mir, wie er hier als Knirps allein in die Schule gehen durfte. Sein Schulweg führte ihn vorbei an dem Fußballplatz, auf dem man sich zum Bolzen traf und wo es sogar Turniere mit den Vätern gab. Heute ist der Platz hinter einem Zaun, gehört zur Schule und kann in der Freizeit nicht mehr genutzt werden. Wer weiß, vielleicht ist es mal wieder die Versicherung, die eine private Nutzung nicht abdecken würde? Auch wenn ich nicht weiß, warum die Gartenstadtkinder hier zumindest nachmittags keinen Spaß haben sollen, finde ich das ziemlich schade. Markus zeigt mir den Kindergarten, in den er ging, und gleich daneben die Grundschule. Vor dort gelangten die Kinder durch einen Durchgang im Zaun direkt in die Nachmittagsbetreuung. Markus erinnert sich gern an seine Kindheit in der Gartenstadt. Der Nachwuchs hatte hier recht viel Freiheit, weil alles so überschaubar war. Cool war es, wenn Markus seinen Schulfreund, den Sohn des Hausmeisters der Grundschule, besuchte. Am Nachmittag gehörten die langen Gänge oft den Jungs. Da ließ es sich bestimmt gut herumtoben, in geheimen Winkeln neue Freizeitvergnügen austüfteln und bestimmt auch über die glatten Böden der Gänge schliddern.

Gleichzeitig gebaut oder später hinzugefügt?

Obwohl es doch ein wenig zu regnen beginnt, schlendern wir weiter durch die kleineren Straßen der Gartenstadt. Wie hübsch, dass es hier eine Regenbogenstraße gibt! Die für diesen Stadtteil typische Reihenhausbebauung mag ich sehr. Manchmal wurden zwei Häuser durch einen Anbau verbunden. Wir fragen uns, ober diese Verbindungen später hinzugefügt wurden oder gleich mit den eigentlichen Häusern gebaut wurden. Dass bei einem Objekt die Dachziegel des Anbaus von gleicher Art wie die der Häuser zu sein scheinen, spricht für die gleichzeitige Erbauung. Wenn nicht beide Dächer nur später zur gleichen Zeit neu eingedeckt wurden. Falls jemand dazu Genaues weiß, freue ich mich über eine Info!

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Hoher Freizeitwert in der Gartenstadt

Jetzt geht es mehr ins Grüne. Wir kommen zu einer Rasenfläche, auf der die Fans des runden Leders sich austoben können und wohl auch dürfen. Hier finden Gassigeherinnen und Gassigeher ihr Paradies, wir treffen einige Fellnasen mit ihren Besitzerinnen oder Besitzern. Wir kommen am Gelände des Kleingartenvereins Gartenstadt Nürnberg vorbei, an den Trainingsstätten von gleich zwei Sportvereinen und am Spielplatz Minervastraße vorbei. Das ist mal eine vielseitige Infrastruktur, finde ich. Bedenkt man, dass viele Menschen hier einen eigenen Garten haben, gibt es hier besonders viele Möglichkeiten, seine Freizeit unter freiem Himmel zu genießen.

Die Steinbrücke über den alten Kanal in der Gartenstadt
Auf der alten Steinbrücke über den alten Kanal

An der Brücke versanken die Pucks

Parallel zur Südwesttangente, von der uns zum Glück die Schrebergärten trennen, geht es in Richtung des Ludwig-Donau-Kanals – des Alten Kanals – der südlich der Straße Finkenbrunn sein Ende findet. An eben diesem Ende beginnt unser Wegstück entlang des Kanals. Markus erzählt mir, dass sein Opa ihm hier das Schlittschuhlaufen beibrachte. Kaum war er sicher genug auf dem Eis, spielte er mit den anderen Kindern aus der Nachbarschaft Eishockey – und fragt sich heute, wie viele Pucks wohl unter der Brücke noch im Wasser liegen mögen. Denn an den großen Steinen der Brücke blieb ein schmaler Spalt immer eisfrei, in dem so mancher Puck versenkt wurde. Im Gegensatz zur Gegenwart, in der sich die Eisdecke kaum mehr schließt, konnten die Kinder und Jugendlichen sich früher oft mehrere Wochen auf dem Eis vergnügen. Doch an einer Stelle sehen wir auch an diesem Tag, dass sich ein paar Eiskristalle an der Wasseroberfläche abzeichnen. Immerhin!

Schleuse 72

Bei Schleuse 72 überqueren wir den alten Kanal auf der historischen Brücke. Dort kann ich schon keine Fotos mehr machen, so kalt sind meine Hände inzwischen. Markus übernimmt das zum Glück für mich. Das Schleusenwärterhäuschen ist mit seinem Garten, in dem die Schleusenwärter früher Tiere halten und Gemüse anbauen konnten, einfach bezaubernd. Im Fenster allerdings stehen Fotos mit Trauerflor. Auf dem Fenstersims wurden Blumen niedergelegt. Vermutlich ist vor Kurzem jemand verstorben oder es jährt sich ein Todestag. Wir wissen es zwar nicht, halten aber doch einen Moment inne.

Das Roxy in der Gartenstadt
Kultkino in der Gartenstadt: Roxy

Erst mal aufwärmen!

Da es jetzt doch so stark regnet, dass das Regenwasser aus meinem Haar tropft, beschleunigen wir unseren Schritt, um schnell ins Café der Bäckerei Woitinek zu kommen. Zwar ist dieser Tag für uns beide ziemlich kalorienreduziert, doch bei dem Wetter sind heißer Cappuccino und dampfender Tee sowieso das Beste, um sich wieder aufzuwärmen und ein wenig zu plauschen. Schließlich gehen wir, damit die Damen in Ruhe Feierabend machen können. Auf dem Weg zur Straßenbahn kommen wir noch am Roxy Renaissance Cinema vorbei, in dem Markus so einige Filme gesehen hat und das hoffentlich bald wieder geöffnet wird. Die Straßenbahn kommt just in time, ich sage Markus „Dankeschön!“ für diesen schönen Nachmittag und lasse mich von der Tram ruckzuck nach Hause fahren. Denn zu all den Vorteilen der Gartenstadt kommt auch noch die gute Verbindung in die nahe Altstadt hinzu.